Wolfgang Glawatsch anlässlich seiner Pensionierung im Gespräch über bewegte Zeiten im Vertrieb und spannende Zukunftsthemen im Zeitalter von Digitalisierung und Nachhaltigkeit
Die letzten 30 Jahre haben Sie beruflich mit dem Verkauf von Spritzgießmaschinen verbracht. Wie sah Ihre Ausbildung aus?
Meinen beruflichen Werdegang habe ich tatsächlich im Verkauf begonnen! Ursprünglich machte ich die Lehre zum Einzelhandelskaufmann, habe mich danach mit Radio- und Fernsehtechnik beschäftigt, war einige Jahre in der Tonstudiotechnik tätig. Als ich zu einem Kunststoffverarbeiter wechselte, wollte ich wissen, wovon ich rede und absolvierte „nebenbei“ das TGM in der Abendschule. Mein großer Vorteil beim damaligen Arbeitgeber war, dass vom Werkzeugbau über die Spritzerei bis zur Baugruppenmontage und Stanzerei alle Bereiche im Unternehmen vorhanden waren – so konnte ich sämtliche Facetten der Industrie kennenlernen und hatte später nie Angst davor, beim Kunden in die Werkstatt zu gehen.
Wie hat Ihre Battenfeld-Geschichte vor 30 Jahren begonnen?
Die Firma Battenfeld war auf der Suche nach einem Technikumsleiter, aber nach der Vorstellung beim damaligen Geschäftsführer Fritz Heindl meinte dieser, dass ich besser in den Vertrieb gehöre als ins Technikum. Damit war mein Einstieg bei Battenfeld vollzogen und ich übernahm die Verantwortung für den deutschen Exportbereich. Zur damaligen Zeit gab es 26 selbstständige Vertreter, die ich zu betreuen hatte. Ich saß mehr im Flugzeug oder Auto als im Büro, aber es war eine sehr spannende Zeit für mich, da die Vertreter „alte Hasen“ und mit allen Wassern gewaschen waren. In dieser Phase habe ich wirklich sehr viel gelernt. Nach 5 Jahren ergab sich für mich die Gelegenheit, den Vertrieb für einen Teil des österreichischen Marktes zu übernehmen. Bis zu meiner Pensionierung war ich 25 Jahre für Battenfeld und später Wittmann Battenfeld im Außendienst tätig.
Ich kenne eigentlich den Großteil der österreichischen Kunden, denn jedes Mal, wenn für die Mitte oder den Westen Österreichs gerade kein Vertreter da war, durfte ich interimistisch einspringen und war damit von Eisenstadt bis Vorarlberg unterwegs. Es hat mir immer großen Spaß gemacht, auch in die anderen Gebiete zu kommen.
Betraf das Battenfeld-Vertriebs-Portfolio standortübergreifend alle Maschinen?
Der Vertrieb betraf anfangs das komplette Battenfeld-Programm inklusive der Extrusionstechnik. Ich habe damals also nicht nur die Spritzgießmaschinen aus Kottingbrunn und Meinerzhagen, sondern auch die Extrusionstechnik der BEX (Battenfeld Extrusionstechnik) verkauft – im besten Fall konnte ich großen Kunden den Extruder und die Spritzgießmaschine anbieten. Bei Battenfeld haben wir damals auch Handhabungsgeräte gebaut, die wurden natürlich auch gleich mitverkauft.
Mit der Übernahme durch die Familie Wittmann 2008 waren wir ohnehin Full-Liner. Für meine Tätigkeit hat sich nicht viel geändert, die Herausforderungen blieben die gleichen. Positiv zu bemerken war sofort der Unterschied zwischen einem Konzernunternehmen und einem privaten Eigentümer – kurze Entscheidungswege etwa erleichterten uns den Arbeitsalltag. Mit dem ganzen Programm inklusiver der Peripherie im Rucksack ergaben sich rasch Synergien, etwa wenn man über den Verkauf von Peripheriegeräten den Einstieg bei neuen Kunden schaffte. Die Schließung des Werks Meinerzhagen mit der Produktion der großen Spritzgießmaschinen hat natürlich ein Loch in das Maschinenprogramm gerissen, da wir rund vier Jahre keine Großmaschinen im Portfolio hatten. Erst mit der Entscheidung von Dr. Wittmann, größere Maschine zu bauen, wurde es step-by-step wieder leichter. Mit der Neuentwicklung der MacroPower-Serie ist es sehr schnell wieder gelungen, Kunden zurück zu gewinnen und von Wittmann Battenfeld zu überzeugen.
Wie entwickelten sich das Unternehmen und damit auch Ihre berufliche Laufbahn mit der Übernahme durch die Familie Wittmann?
Viele Battenfeld-Kunden waren und sind zum Glück treue Kunden! Am Standort Kottingbrunn wurde über die Jahre stark investiert und das hat man an der positiven Entwicklung der Reputation der Marke Battenfeld gemerkt. Dem Markt wurde rasch bewusst, dass ein privater Eigentümer hinter Wittmann steht, dass investiert wird, dass etwas weitergeht. Wurden wir in den Jahren 2007/2008 noch belächelt, so brachte die Familie Wittmann durch Power und Investitionen das Unternehmen wieder rasch auf Reiseflughöhe. Dr. Wittmann hat von Anfang in innovative Ideen investiert, die zum Erfolg führten. Eines der Beispiele ist das Microsystem, anfangs eher ein ungeliebtes Kind im Unternehmen. Aber der Erfolg über die letzten Jahre zeigt, dass es die richtige Entscheidung war, auf diese Maschinenbaureihe zu setzen. Ganz entscheidend war der komplette Umbau dieser ganzen Baureihe auf Wittmann-Battenfeld-Standardelemente. Der Bedarf an Klein- und Kleinstteilen in der Medizintechnik, der Kfz-Industrie – im Schnitt haben wir heute 40 bis 50 Sensoren im Fahrzeug – steigt ständig an und so wird die MicroPower laufend weiterentwickelt, wie zuletzt etwa mit einer größeren Spritzeinheit.
Auch die Großmaschinenserie MacroPower hat sich im Markt sehr gut etabliert und geht mittlerweile bis zu einer Schließkraftgröße von 2000 Tonnen, womit sich rund vier Fünftel des Bedarfs an Großmaschinen in Österreich abdecken lassen.
Viele Technologien wurden weiterentwickelt, wie etwas Cellmould. Wir sind die einzigen, die gas-assist-Produkte komplett im Portfolio haben und auch eigenständig fertigen. Diese Produkte werden nach wie vor alle in Meinerzhagen gefertigt, auch die Stickstoffkompressoren fertigen wir selbst. Auf Grund der Steuerungsgleichheit können wir diese Systeme simpel in die Maschinensteuerung implementieren, womit wir in einem Komplettpaket alle relevanten Prozessparameter im Werkzeugdatensatz mit abbilden können. Digitalisierung ist bei uns Haus überhaupt fest verankert – bei Wittmann Battenfeld „sprechen“ mittlerweile alle Steuerungssysteme miteinander, wir verwenden als einzige ein systeminternes COM-X (Router) und haben damit nur mehr eine einzige Leitung in die digitale Außenwelt. Dieses COM-X wurde im Hause Wittmann selbst entwickelt, passt in jedes System bei uns hinein und damit haben wir ein fertiges Plug-and-Play-System für den Kunden. Für die Maschinenbedienung wird heute fast nur mehr angelerntes oder ungeschultes Personal eingesetzt. Daher stellt sich die Frage, wie weit dieses Personal mit den digitalen Lösungen umgehen kann. Hier leben wir in Österreich auf einer Insel der Seligen, weil adäquate Ausbildungsstätten in der Kunststofftechnik vorhanden sind. Die Steuerung bei Wittmann Battenfeld wertet schon viele Daten selbst aus, wodurch der Kunde ein fertiges Datenpaket etwa für seine Qualitätssicherung zur Verfügung hat und nicht mühevoll nachbearbeiten muss. MES-Lösungen können Daten, die aus unserer Maschine kommen, 1:1 übernehmen.
Man merkt im Gespräch mit Ihnen stark den Wandel im Umgang mit einer Spritzgießmaschine….
Vor 40 Jahre war mein erster Zugang zur Kunststofftechnik eine Spritzgießmaschine, die genauso alt war wie ich. Da musste man noch mit Nockenendschaltern und Schleicher-Zeitrelais manuell den Spritzgießprozess einstellen. Einige Zeit später kamen die ersten Maschinen mit einem 6-zeiligen LCD-Bildschirm auf den Markt, die schon eine Bedien-Tastatur hatten und einen Datenspeicher – maximal ließen sich da 12 Werkzeugdatensätze abspeichern! In den Anfangszeiten musste man einfach wissen was man tat, um gute Produkte aus der Maschine raus zu bekommen. Die Produkte waren damals nicht schlechter als heute. Die Kunststofflandschaft an sich hat sich in den letzten Jahrzehnten ebenso stark verändert, denn es gab ja nur eine Handvoll Kunststofftypen, die industriell verarbeitet wurden. Vor 40 Jahren war es in der Automobil-Industrie undenkbar, aus Polypropylen einen Stoßfänger zu fertigen. Die ersten richtig großen Maschinen, die in Meinerzhagen gebaut wurden, setzte Caterpillar in den USA ein, um Kotflügel und Kabinenteile zu fertigen. Der nächste Schritt war dann eigentlich schon die Müllentsorgungsindustrie.
Auf Grund meiner 10-jährigen Praxiserfahrung mit Kunststoffverabeitung und Spritzgießmaschinen vor meiner Battenfeld-Zeit blieben mir in meiner Anfangszeit im Vertrieb gröbere Fehler erspart. Aber einige Kunden luden mich zu einem Erstgespräch ein, um einmal abzutasten, wie viel ich vom Geschäft verstehe – so wurde ich immer wieder geprüft, was ich denn kann! Als sie auch in Deutschland gemerkt haben, dass sie mir als Österreicher kein X für ein U vormachen können, war das Eis gebrochen.
Was war die größte Entwicklung für Sie?
Das kann ich so gar nicht sagen. In meiner ganzen Zeit in der Branche ging die Entwicklung kontinuierlich voran. Ein Highlight war aber sicherlich, dass Battenfeld gleich am Anfang meiner Zeit die erste Maschine mit einem EL-Bildschirm vorgestellt hat, mit einem Memo, vollelektronisch, mit elektronischen Wegaufnehmern, wodurch es also auf einmal keine Nockenschalter mehr gab – das war ein Quantensprung auf der K 1989!
Wie verfolgen Sie aktuelle Trends, etwa zum Thema Nachhaltigkeit?
Wenn man heute die abbaubaren oder bioresorbierbaren Kunststoffe betrachtet, dann müssen mehrere Leute zusammenspielen, das sind der Werkzeugbauer, der Spritzgießmaschinenhersteller und der Materialentwickler. Wir pflegen hier langjährige Kontakte mit der IFA in Tulln und die Entwicklungen sind absolut zukunftsträchtig. Wir müssen uns darauf besinnen, was wir nachhaltiger machen können. Es gibt Anwendungen, die keinen Sinn ergeben, aber es gibt sehr viele Dinge, die wir schaffen können. Hier sind die Kooperationen in der Branche, wie schon erwähnt, zwingend notwendig. Jedenfalls wird sich die Spitzgießbranche von den verarbeiteten Rohstoffen her verändern, ich glaube aber nicht, dass sich die Maschine selbst großartig verändern wird – abgesehen von einigen Anpassungen, etwa hinsichtlich der Plastifiziereinheit.
Der Trend geht sicherlich zu hybriden und vollelektrischen Maschinen, immer abhängig von den Maschinengrößen. Und die Mikrotechnik wird, wie schon oben angesprochen, immer stärker.
Welchen Rat würden Sie jungen Menschen mitgeben, die gerade auf der Suche nach der richtigen Ausbildung sind?
Wenn sie eine solide Ausbildung suchen, kann man durchaus eine Lehre beginnen und ein Handwerk erlernen. Jeder möchte heute studieren, in Wahrheit fehlen aber die Leute, die die Ärmel aufkrempeln und das Handwerk betreiben. Wir haben mittlerweile die größten Probleme, vernünftige Handwerker zu bekommen, wir finden keine Schlosser, keine Elektriker, keine Spengler, die Werkzeugmaschineure bilden wir schon selbst im Haus aus, weil wir sonst kein Personal hätten. Auch in diesen Bereichen gibt es zahlreiche Aufstiegsmöglichkeiten, denn mit den heutigen weiterführenden Ausbildungsformen ist es überhaupt kein Problem mehr, in eine führende Position aufzusteigen! Wir brauchen Leute, die wissen was sie tun und experimentierfreudig sind, um an den Lösungen für die Zukunft zu arbeiten.
Sie sind weiterhin vielen Kollegen, Kunden und Partnern freundschaftlich verbunden. Auch wir wünschen für die Zukunft alles Gute und bedanken uns herzlich für das heutige Gespräch und die vielen spannenden Unterhaltungen in den letzten Jahrzehnten!