Handdesinfektionsmittel gehören seit dem Beginn der Corona-Pandemie zu den am stärksten nachgefragten Produkten. Um die sprunghaft gestiegenen Bestellungen bedienen zu können, hat der österreichische Hygienespezialist Hagleitner sein Produktionsvolumen in weniger als einer Woche mehr als verdoppelt. Möglich war dieses rekordverdächtige Tempo zum einen durch die Weitsicht der Geschäftsleitung und zum anderen das ausgezeichnete Teamwork mit den langjährigen Partnern Engel, Alpla und Meister-Quadrat.
Gegründet 1971, hat sich die Hagleitner Hygiene International GmbH auf innovative Hygienelösungen spezialisiert. Das Sortiment reicht von Seifen- und Desinfektionsmittelspendern über Dosieranlagen für Wasch- und Spülanlagen bis zu hochwirksamen Reinigungsmitteln. Alle Produkte stellt das Familienunternehmen selbst her. Der Stammsitz in Zell am See südlich von Salzburg vereint die chemisch-technische Produktion, Papierveredelung und Kunststoffverarbeitung.
Spender für Handdesinfektionsmittel gehören längst nicht nur in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen zum Standard. Firmen bieten für ihre Mitarbeiter und Besucher Desinfektionsmittel an, und zur Eindämmung der Corona-Pandemie müssen auch öffentliche Einrichtungen und Geschäfte Handdesinfektionsmittel bereitstellen. Um die praktischen Spender, die ein berührungsloses Dosieren erlauben, einfach und schnell nachfüllen zu können, hat Hagleitner so genannte vacuumBags entwickelt. Diese Nachfüllpackungen bestehen jeweils aus einem Schlauchbeutel und einem Adapterstück mit integriertem Verschluss. Kopfüber in den Spender eingesetzt, schiebt sich der Verschluss automatisch auf. Mit einer Anlage produzierte Hagleitner in zweieinhalb Schichten an fünf Tagen in der Woche 10.000 Nachfüllpackungen am Tag und deckte damit den Bedarf seiner europaweiten Kunden ab. „Dann kam Corona“, berichtet Hans-Jürgen Landl, Bereichsleiter Spritzguss, Spender und Werkzeugbau, von einem der spannendsten Retrofit-Projekte, die das Unternehmen in seiner fast 50-jährigen Geschichte erlebte. Quasi über Nacht hat sich die Nachfrage nach Handdesinfektionsmitteln mehr als verdoppelt. Hagleitner setzte alles daran, den Output so schnell als möglich hochzurampen.
Partnernetzwerk hält zusammen
Nadelöhr war die Spritzgießproduktion. Die Adapterstücke werden im Zwei-Komponenten-Prozess auf einer Engel e-victory 160-Spritzgießmaschine in einem 4+4-fach-Drehtellerwerkzeug produziert. Zunächst werden die Schulterplatten aus weißem Polypropylen gespritzt und nach der Drehbewegung des Werkzeugs die Dichtung aus blauem TPE direkt angespritzt. Die Produktion von fünf auf sieben Wochentage, von zweieinhalb auf drei Schichten hochzufahren, reichte bei weitem nicht aus, der sprunghaft gestiegenen Nachfrage Herr zu werden. So wurde entschieden, eine zweite Spritzgießzelle an den Start zu bringen.
Prinzipiell möglich war dies, weil Hagleitner bereits vor zwei Jahren ein zweites baugleiches 4+4-fach-Werkzeug für die Adapterstücke bestellt hatte. „Als Ersatzwerkzeug für den Fall, dass das Produktionswerkzeug einmal ausfällt“, erklärt Landl. „Damit wir jederzeit lieferfähig bleiben.“ An eine Pandemie dachte damals noch niemand.
Um dieses Ersatzwerkzeug nun schnell in Produktion zu bekommen, sollte eine Spritzgießmaschine umgerüstet werden. Insgesamt 18 Spritzgießmaschinen umfasst der Maschinenpark in Zell am See, außer einer Großmaschine vom Typ Engel duo ausschließlich holmlose e‑victory Maschinen mit unterschiedlichen Schließkräften. Darunter sind weitere e-victory 160 Maschinen, jedoch keine, die tatsächlich baugleich mit der für die Adapterstücke eingesetzten Maschine gewesen wäre. Die Besonderheit bei der Produktion der Adapterstücke ist das zusätzliche Kleinspritzaggregat zum Anspritzen der TPE-Komponente, das bis dato im Hagleitner Maschinenpark nur einmal vorhanden war. Kein Produkt, das binnen Kürze von der Stange nachbestellt werden kann.
Dass dennoch in nur wenigen Tagen eine zweite e-victory 160 mit dem Ersatzwerkzeug in Produktion gehen konnte, verdankt Hagleitner seinem ausgezeichneten Partnernetzwerk. Koordiniert durch Michael Meister, Inhaber der Ingenieursfirma Meister-Quadrat im steirischen Niklasdorf, bewiesen die Unternehmen Hagleitner, Alpla und Engel Zusammenhalt.
Der Verpackungs- und Recyclingspezialist Alpla in Vorarlberg beliefert Hagleitner seit vielen Jahren mit Kanistern und Flaschen. Michael Meister wusste, dass in den Alpla Werken identische Kleinspritzaggregate zum Einsatz kommen. Kurzerhand nahm Meister Kontakt auf. Alpla schickte ein Aggregat nach Zell am See, um gemeinsam mit Hagleitner einen Beitrag zur Eindämmung der Pandemie zu leisten.
Plattformstrategie beschleunigt Retrofit
Für den Umbau der e-victory-Maschine reiste Michael Meister gemeinsam mit Engel Servicetechniker Rene Zwischenberger zu Hagleitner. Keine triviale Aufgabe, die ihnen bevorstand, denn einen Ersatzteilauftrag mit entsprechender Stückliste gab es angesichts des hohen Zeitdrucks nicht. Die für den Einbau des Kleinaggregats benötigten Komponenten sowie Hydraulikventile und die Formschwenkvorrichtung, die der zusätzliche Kernzug des Adapterstückwerkzeugs erfordert, wurden aus einer anderen Maschine aus- und in die vorgesehene e‑victory 160 eingebaut. Hier machte sich die Plattformstrategie von Hagleitner bezahlt. Vor sechs Jahren begann das Unternehmen gemeinsam mit dem Ingenieurbüro Meister-Quadrat mit der Standardisierung. „Unsere Spritzgießmaschinen sind technisch alle sehr hoch ausgerüstet und haben eine Vielzahl an Ein- und Ausgängen, um sie flexibel einsetzen zu können“, so Landl. „Die Corona-Pandemie bestätigt einmal mehr, dass die Strategie, weitsichtig zu investieren, die richtige ist.“
„Wir haben stark von dieser Modularität profitiert“, bestätigt Gerhard Hochstöger, Teamleiter Service Scheduling bei Engel am Stammsitz im oberösterreichischen Schwertberg. „Auf Hardware einer anderen Maschine zugreifen zu können, ist nicht selbstverständlich. Innerhalb von zwei Tagen hatten wir alle Teile und sogar die Maschinensoftware mit allen notwendigen Anpassungen parat und konnten mit dem Umbau beginnen.“
Nach nur drei Tagen nahm die Fertigungszelle ihre Arbeit auf. Damit produzieren jetzt zwei Maschinen rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche jeweils 15.000 vacuumBags pro Tag. „Was diese Rekordzeit ermöglicht hat, ist nicht zuletzt, dass bei diesem Projekt Menschen zusammenkamen, die sich seit vielen Jahren persönlich kennen und vertrauen“, resümiert Michael Meister. „Wir konnten sofort loslegen und die bürokratische Abwicklung nach hinten schieben. Wir alle wussten, dass es bei diesem Projekt um Menschenleben geht. Da halten alle zusammen.“